Süsse Kolonien hat dieser abartige Virus
erschaffen. Glücklicherweise hat er in diesem Stadium noch keine Möglichkeit
gefunden, den restlichen Raum zu bevölkern. Ansonsten würde es blutig enden,
zumindest für dessen degenerierten Zellen. Zurzeit sind die Kolonien noch immer
damit beschäftigt, sich gegenseitig runterzudrücken, aus Angst davor, selbst
unterzugehen. Sie bedrohen sich gegenseitig und prügeln auf die schwächeren
ein, nicht nur um ihre Macht zu demonstrieren. Die durch ständige Attacken
gepeinigte Kolonien sind oftmals günstig gelegen, wenn es um den primitiven
Energieträger des Virus geht. Ansonsten werden die meisten Kämpfe über Zahlen
geregelt, die grösstenteils in Märkten wachsen und fallen, die kaum noch einen
realen Bezug zum Geschehen auf dieser Kugel haben. Und doch reissen sie ständig
Tausende bis Millionen Zellen in den Tod oder zumindest in lebensunwürdige
Zustände. Den meisten sind diese Zusammenhänge noch zu komplex und ihr Organell
ist sowieso nicht fähig, all die einzelnen Schritte und Entscheidungen in ihrer
Gänze abzubilden. Aber die Auswirkungen wären eigentlich klar, es bräuchte nur ein
bisschen Verstand, um die Sinnlosigkeit vieler Geschehnisse zu hinterfragen.
Und jetzt gerade ist ein kritischer Augenblick, dessen Ausgang grundlegende
Voraussetzungen der Zukunft bestimmt. Und es sieht nicht gut aus für den Virus.
Seine Entwicklung zurück zu einer friedlichen Art müsste bald geschehen, doch
er ist gespalten und die Kolonien spielen immer noch ihr tödliches Spiel.
Jenseits der Mauer ihrer Machtspiele brodelt der vergessene Planet ihres
Daseins etwas zusammen, was sie aus seinem Ökosystem rausspucken und löschen
wird. Die ständige Maximierung ihrer Zahlen liess sie diesen ausnehmen und
zerstören, sie wollten ihn benutzen wie es ihr Ego für angemessen hält. Und dieses
kriegt nie genug. Auf jeder Ebene spielt diese Krankheit eine wichtige Rolle,
die verhindert, dass sie ein Bewusstsein erlangen. Sie alle streben nach einer
gefühlstoten Umgebung, die sie die Realität vergessen lassen und all der
Schmerz, der sie seit Beginn ihrer Existenz heimsucht. All die Namen der
Kolonien verwirrt sie und sie hören nur schreckliche Geschichten über all die
anderen. Ihre eigene scheint für sie die einzig wahre zu sein und kritische
Sichtweisen werden nicht gern gesehen. Solche Zellen sind ihrer Kolonie nicht
würdig, nicht für die Kraft oder die Reinheit, die sie besitzt oder besass. Entweder
schützen sie sich vor solchen, die sie runterziehen wollen, oder sie beäugen missgünstig,
wie sie selbst ausgenommen werden, während andere glorreiche Zeiten erleben.
Manch andere liegen irgendwo dazwischen und blicken auf die anderen Kolonien
herab, da sie in gewalttätige Konflikte gerutscht sind, was ihnen nie geschehen
könnte, was sie tatsächlich glauben. Obwohl der Virus schon vor langer Zeit aus
der herkömmlichen Wildnis herausgewachsen ist und sich auch nicht geniert, sich
darüber und über allem darin zu stellen, doch er handelt dennoch wie in einem
primitiven Überlebenskampf. Und dieser ist nicht unberechtigt, denn es sterben
Zellen nur vor sich hin aus unterschiedlichsten Gründen, jedoch scheinbar kaum natürlich.
Der Überlebenskampf hat für sie komplexe Formen angenommen, die nicht mehr
Handlungen voraussetzen, die direkt zum Überleben führen. Sie müssen sich diesem
abstrusen Zahlensystem unterwerfen, welches verlangt, dessen Zugang zu sichern,
damit man von den Gaben der Organisationen etwas abhaben kann. Dafür müssen sie
nahezu ihre komplette Zeit dafür opfern, in deren Diensten tätig zu sein, um
deren Aufgaben zu erledigen. Die meisten darin erhalten gerade genug Zahlen, um
sie gegen überlebenswichtige Nährstoffe auszugeben, sogar um einen Platz in all
ihren Betonklötzen zu erhalten, der sie von der Unbarmherzigkeit der Natur
schützt. Die Plätze in den Organisationen sind heiss begehrt, doch leider begrenzt
vorhanden. Für Verlierer der Kämpfe gibt es teilweise Möglichkeiten, dennoch zu
überleben, sofern sie bereit sind, sich den Voraussetzungen dafür zu beugen.
Wenn nicht, gibt es immer noch genug Möglichkeiten, die jedoch oftmals geächtet
und gar bestraft werden. Die Strafe sieht zwar vor, dass sie einen Platz in
einem Bauklotz erhalten, jedoch gelangen sie für eine gewisse Zeit nicht mehr heraus.
Und der Überlebenskampf wird danach nicht einfacher für sie, die aus diesen
Zellen wieder herausgelassen werden. Obwohl die wenigsten schon unter solchen
Umständen existieren mussten, kennen die meisten das Gefühl, eingesperrt zu
sein. Diese Form des Überlebenskampfes diktiert ihr Verhalten jeden Tag, die
Kolonien und Organisationen befehlen, aus denen letztendlich auch nur Zellen
sprechen. Sie hätten genug, genug Wissen, genug Nährstoffe und Gebäude, um
allen das Überleben leichter zu gestalten, doch ihre Krankheit lässt es nicht
zu, es würde an ihrem Ego kratzen. Immerhin haben sie allesamt bis jetzt
alleine überlebt. Zumindest reden sie sich das ein, bis sie sterben.
RvH, 31.10.2019, 16:47, 0102