Allerlei Prozente


Viele hundert Jahre lebe ich schon auf dieser Einöde eines Planeten und schon bald frisst er mich auf. Daher renne ich von ihm weg und komme doch keinen Schritt weiter. Er ist immer hinter mir her, was für Formen und Farben er auch annimmt, alles entpuppt sich letztendlich als diese eine Kugel, die mich loswerden will. Die einzige Möglichkeit, ausser Reichweite zu gelangen, wäre ausserhalb seiner Atmosphäre, bestenfalls hunderte Lichtjahre ausserhalb seines Sonnensystems zu gelangen. Hier würde ich ihm immer noch regelmässig begegnen und vielleicht schickt er seine Soldaten los, um mich zu ihm zurück zu bringen. Es scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein, denn wie soll ich in diesen Raum dort draussen gelangen und wie sollte ich dort überleben? Mir fielen hundert Gründe ein, weswegen ich lieber hierbleiben sollte, auch wenn er mich letztendlich doch erwischt. Hier kenne ich mich ein wenig aus, ich wüsste viele hundert Flecken, die praktisch frei von seinem Einfluss existieren und es gäbe dort alles, um zu überleben. Doch würden mich all die Strassen und Gebäude solcher Grossstädte nicht endgültig depressiv machen? So würde ich mich doch noch freiwillig dazu entscheiden, in die Natur des Planeten zurückzukehren. Vielleicht ist diese Entscheidung bereits getroffen worden, wenn ich mir so meine letzten Gedankenspiele anschaue, die ich hier verfasst habe. Sie berichten von Tod, von Türmen und anderen Gebäuden, in denen ich durchgedreht bin. Und sie erzählen von einem Ende, das in düsteren Wäldern geschieht, die mich wie magisch zu sich rufen, weil sie mich benutzen wollen. Wie konnte ich mir gar den gesamten Planeten zum Feind machen? Oder meint er es gut mit mir, weil er sieht, wie ich leide? Seit über hundert Tagen berichte ich nur ihm, was mich beschäftigt, was mich quält, wie ich all meine Hoffnungen verliere. Und er möchte mich erlösen. Dies ist nett gemeint und vielleicht komme ich auf sein Angebot zurück, doch erst gilt es noch, ein paar Meisterwerke zu schaffen, die niemand mag. Er mag sie auch nicht, er wollte nicht, dass das Leben auf ihm zu solch ein Leid führt, welches in meinen Kopf seinen Höhepunkt erreicht, kurz bevor ich zurückkehre. Denn bis zu diesem Zeitpunkt bin ich eigentlich frohen Mutes, dass ich die nächsten hundert Stolpersteine doch noch überstehen könnte und erst all die tausend, die noch kommen werden. Dieses irrsinnige Spiel des Oktobers liess mich fast daran glauben, dass ich es doch ernst meine mit dem Club der 27. Und auch bei diesem aktuellen Geisteszustand kann ich mir nicht hundertprozentig sicher sein, dass dieser bleiben wird. Ich wurde dazu verdammt, und allein durch mich wird der nächste Club eingeläutet, dem noch viele weitere folgen werden. Könnte ich doch nur Vorbild sein für all die Aussenseiter des Abschaums, die dasselbe wollen, aber sich nicht trauen. Schaut mich an, ich schiebe es auch nur vor mich hin und möchte es dennoch nicht loslassen, da es Ruhe verspricht. Schlimmer als unser Leben kann die Hölle nicht werden, die Temperaturen blieben zumindest gleich. Und nach weiteren hundert Jahren hätte man sich bestimmt daran gewöhnt. Nichts könnte schrecklicher sein, als ein Leben nach dem Tod, selbst im friedlichsten Himmel. Hunderte Widersprüche meines Denkens kamen schon zum Vorschein und doch halte ich mich noch immer für den einzig wahren Messias, der die Utopie bringen wird. Sollte dies tatsächlich eine sogenannte Selbstüberschätzung sein, werde ich danach tief fallen, noch tiefer als bisher? Und wo werde ich landen? Vermutlich im hundertsten Leben, das ich führen werde, denn genau so unvollständig fühlt sich mein jetziges an. Noch einmal halte ich das nicht aus, schon als Baby würde ich mich fallen lassen. Und was geschieht dann? Wäre es dann endlich vorbei, könnte ich dann in Ruhe schlafen, wie ich es mir schon hundert Mal erträumt habe? Nie wieder erholen, kein Bewusstsein mehr, nur noch Dasein. Auch das wäre nicht so geil. Es kann nur noch schlimmer werden, als hätte ich den hundertsten Entzug vor mir. So scheint es auch zu sein und nur das volle Bewusstsein schafft genug Leid, um genug zu haben. Ein Leben lang drogensüchtig oder es geht bald vorbei. Fühlt sich so die Erleuchtung an? Ein ständiger Kampf zwischen den Extremen, die mühevoll versuchen, die Hundert voll zu kriegen? Und auch dann ist es noch nicht vollendet, denn gib acht, da so viele noch folgen werden. Danach habe ich mir den Tod meisterhaft verdient. 

RvH, 30.10.2019, 21:27, 0100