Todeskuss

 
Zwischen den Abgründen wandelt eine verirrte Seele seinem Ende entgegen. Gestartet - und hängengeblieben - ist er mitten in der Hölle auf Erden - auch DeaLSDorf genannt. Hier nahm sich der Tod meinen kleinen Körper schon früh in sein Blickfeld auf, um mir gelegentlich ein Lächeln zu schenken. Angetan von der Vorstellung, sich auch mal von dieser mysteriösen Gestalt küssen zu lassen, empfang ich den Müden Tod mit offenen Armen in meiner Seele, damit er sich es darin gemütlich machen konnte. Immer, wenn er bei mir auf Besuch war, erzählte er mir von der Ruhe, die nur er mir geben konnte. Während den Reisen auf diesem Planeten kommt nicht einmal der Schlaf an diesen Zustand heran, an dem sich die Seele nicht mehr an das Dasein festhält, da sie noch einen letzten Rest Überlebenswille in sich trägt. Dieser sei sein grösster Feind, wenn er sich nicht mit den Alten & Schwachen zufriedengeben will. Ich sei ihm aufgefallen, weil ich diesen öfter schon fast verloren hätte. Aber irgendetwas hielt mich noch immer am Leben, weswegen er sich langsam Sorgen macht. Ich hätte doch solch eine sensible Seele, die diesen Abschaum auf der Erde doch kaum ertragen kann und so frug er sich, ob er mir irgendwie behilflich sein könnte. Er wüsste nämlich, wie dieser feige Überlebenswille verjagt werden könnte und zwar, indem man sich bewusst macht, dass er nur auf Hoffnungsschimmer aufbaut, die nicht real sind und es nie sein werden. Bestenfalls heben sie einem kurzfristig in die Höh, woraufhin der Fall unausweichlich ist. Lange hält man dies ewige Hoch & Tief nicht aus und bleibt irgendwann müde liegen. Du bist müde, hat er gesagt, und wies mich darauf hin, dass ich keinen Gedanken an ihn verschwenden würde, wenn ich es nicht wäre. Unschlagbare Logik, die die Prämisse in sich trägt, dass ein halbwegs angenehmes Schweben durch die Lüfte nicht möglich sei. Diesem Hoffnungsschimmer ist meine Seele bis zum Schluss auf den Leim gegangen. Sie sollte nicht so alt werden. Wenige Monate nach ihrem 29-jährigem Dasein wurde sie schliesslich vom Tod geküsst. Sie erinnert sich daran, als wäre es erst gestern gewesen, was es vielleicht auch war, weil sie benebelt ist von Satans Wundersamen Kraut. Der Patron von dessen Produktionsstätten ist ein Kumpel von meinem Geliebten. Sie arbeiten zusammen und haben gemeinsam schon lange ausgeheckt, dass sie irgendwann Kundschafter auf mich hetzen. Sie sind angekommen und stellen mich vor die Wahl zwischen Entzug & Suizid. Der richtige Moment für den Todeskuss ist eingetreten. Zum ersten Mal konnte sich der Tod nicht mehr hinter seiner Maskerade verstecken, die ihm einen ästhetischen Anblick verleiht und so konnte ich ihn mit allen Sinnen wahrnehmen. Es war ein hässliches Gefühl. Nur schon sein fauliger Mundgeruch konnte ich bislang nicht riechen, wenn er sein wahres Gesicht in der Empathie und der Angst zeigte, die ich vor ihm trotz Todessehnsucht noch vor ihm hatte. Sonst hätte ich ihn wohl schon längst aufgesucht an einen dieser Orte, wo er Einrichtungen hingestellt hat, um zu ihm zu gelangen. In den Momenten, in denen die Sehnsucht nach ihm so stark anstieg, dass ich einen realistischen Ort ernsthaft besucht habe, fiel meine Wahl immer auf diesen einen Turm, der eine überwältigende Aussicht auf die Hölle auf Erden gestattet und mir in der Weite der Lüfte all die Hoffnungsschimmer aufzeigte, die zum Grossteil wahrwerden können. Also sprang ich nie. Nun weiss ich auch, was ich beim nächsten Mal machen muss, wenn es mir ernst ist. Gefährlich, gefährlich. Nur du kannst mir die Aussichten auf ein halbwegs erfülltes Leben noch nehmen und in Luft auflösen lassen. Fast hättest du es geschafft, indem du mir den Mythos der 27 aus den Händen genommen und seine Frage beantwortet hast. Deine Antwort ist immer die Gleiche, nur passt die Zahl schon längst nicht mehr. Weisst du noch, als du mir noch vor dem Mythos unter dem Bett aufgelauert bist und ich mir leibhaft vorgestellt habe, wie du mich ohne mein Zutun einfach überfällst und zu dir runterziehst? Weswegen bin ich wohl dennoch nicht gefallen, obwohl ich in dem Moment so angeschlagen war, dass es ein leichtes gewesen wäre? Weil ich nicht in diesem Zustand eingeschlafen bin, sondern mich vorher schon daran erinnert habe, was ich nur schon damals alles erreicht habe. Unvollständig, aber real. Genial. Und wie kommst du darauf, dass du mir die aktuelle 27 einfach so aus den Händen nehmen könntest in der Hoffnung, ein Versagen wäre nicht verkraftbar? Hast du schon mal geschafft. Scheiss auf dich. Noch zwei in gut sechs Stunden. Fick dich selbst. 
 
- RvH - 31.03.2021 - 17:49 - 0322 -