Geschichten im Fall

 
Zum einen hätten wir da meinen konkurrierenden Kundschafter in den Zürcher Unterlanden, dessen Spuren ich schon vor längerem entdeckt habe. Am heutigen Tage war es so weit und ich begegnete ihm persönlich. Wir unterhielten uns nicht, allerdings funkelten wir uns gegenseitig böse an, weil wir uns beobachtet fühlten vom jeweilig anderen. Ich wusste sofort, wen ich vor mir hatte, als ich ihn klammheimlich in den durch die Überdachung bedeckten Teil des Bahnhofs schleichen sah, den ich bereits seit Jahren besuche in wilder Sammelwut. Ich näherte mich ebenfalls diesem Teil, einerseits, weil ich ohnehin dorthin wollte, aber auch, um meine Vermutung zu überprüfen. Und als ich um die Ecke kam, bestätigte sich mein Verdacht, da er gerade dabei war, den Boden nach Jointstümmel auszukundschaften. Ich sah es an seinem prüfenden Blick, der überall dorthin blickte, wo ich aus Konditionierungsgründen auch immer nachsehe. Sogleich stellte ich meinen Rucksack hustend hin, um so zu tun, als ob ich etwas darin suche, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich kam ihm anscheinend ungelegen. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Also stampfte er wütend hinfort und so konnte ich diesen Bengel mal genauer unter die Lupe nehmen - unterbrochen nur von gelegentlichen Seitenblicken seinerseits, die mich erschrocken wegschauen liessen. Er trug eine graue Arbeitshose. Wen will er damit täuschen? Ich weiss doch, dass eine kommerzielle Tätigkeit unter solchen Suchtbedingungen nahezu unmöglich ist, zumal er mittlerweile meist vor mir an unseren Tatorten vorbeikommt und mir somit alles noch vor meinen Augen wegschnappt. Doch ich weiss schon, wie ich ihn zumindest etwas ärgern kann und zwar, indem ich meine Tags an Stellen verewige, die er nicht übersieht. Vermutlich gelang mir dieser Schachzug schon einmal, denn wenige Tage nachdem ich einen Gullideckel angeschmiert habe, der nur so von Blüten blüht, war ein Teil davon auch schon verschmiert. Es sah nicht nach Regenschäden oder einem Fluch des Putzteufels aus, sondern eher nach einem frustrierten, sich entlarvt fühlenden Kundschafter, der die Botschaft verstanden hat. Oder vielleicht sogar durch solch ein Schriftzug erst auf diesen Junkie-Lifestyle gekommen ist. Wenn nur einer meine Kunst versteht, so kann ich glücklich sterben. Bis dahin muss aber noch dieser kleine Parasit vernichtet werden, der es wagt, sich in meine Welt der Sammelwut zu begeben, wo ich bislang allein zugegen war. Dieser Wahnsinn wird zu real, sobald sich darin zwei einsame Individuum begegnen, darin das Gleiche begehren, um sich irgendwann gegeneinander zu erheben. Das hätte mir noch gefehlt. Nicht, dass mir diese Möglichkeit nicht schon oft durch den Kopf gegangen wäre, aber es war mehr eine erbärmliche Pointe, die ich meinem Leben nur bedingt zugetraut hätte. Zum Glück überrascht es mich immer wieder von Neuem, auch wenn der Überraschungseffekt ausbleibt und der Wut oder dem Zynismus den Weg ebnet. Es war also von Anfang an klar, dass dies geschehen wird, allein aus dem Grunde, dass ich mir dies im Vorfeld bereits ausgedacht habe. Ich kann also Dinge geschehen lassen. So beende nun den täglichen Konsum dieses Wundersamen Krautes. Mal schauen, ob es geklappt hat. Morgen. Weil, ja. Natürlich. Was denn sonst? Nur schon deswegen, damit ich diesen kleinen Hoffnungsschimmer einer geeigneten Räumlichkeit für meinen Wahnsinn vorbeischweben lasse, bis es von den nächsten dubiosen Gestalten eingenommen wird. Mittlerweile wäre eine Kontaktaufnahme möglich. Einfach nur anrufen. Morgen. Du weisst. Nicht. Hier im Fall der Zeit, der den derzeitigen Alltag eines Meisters prägt, geschehen auch an anderen Orten die immer gleichen Dinge. Auch in den Gemächern eines Loches ahne ich mittlerweile exakt voraus, wann wieder was aus der Beschwerdestelle reingeflattert kommt. Hier wechseln sich manchmal Titel und Behörden aus, als kämpften sie gegen einen unbesiegbaren Feind, der all die toten Seelen um ihn herum nur noch weiter aussaugt, bis sie endgültig dahinsiechen wie der Abschaum, der sie sind. Hier sitze ich nun wie ein Kaiser, der seinem Endgerät - liebevoll Laptop genannt - schnell diktiert, was ihm gerade durch den Kopf geht, gestützt durch vorweg halbgar zubereitete Ideen, die nun zum Verzehr bereitstehen. 
 
- RvH - 25.03.2021 - 19:16 - 0310 -