Das Schwarze Schaf der Mitternacht

 
Es schleicht sich langsam an seine ersten Opfer heran, die es heute noch gen Mitternacht zu reissen gedenkt. Nicht anders taten sie es mit Seinesgleichen, von denen nichts als Knochen übrigblieben. Wie sollen sie denn so ihren Hirten mit ihrer wolligen Haarpracht dienen, wenn sie praktisch über Nacht so entstellt wurden? Auch all ihr nahrhaftes Fleisch verschwand noch schneller als ihr Haar nach einer routinierten Rasur. All ihr Blut aufgesogen, alle ihre Milch verloren, als dass daraus noch Käse gemacht werden könnte. Es ist das Schwarze Schaf unter all den Weissen Ungetümen, das sich dazu entschlossen hat, Rache zu nehmen für all die Toten, für die Panik, die diese heulenden Viecher verursacht haben. Sie werden immer mehr. Nicht nur sie haben Angst vor einem steigenden Vorkommen von Wolfsrudel, die ihr Einflussgebiet stetig ausweiten und neue Gegenden auskundschaften, erobern. Zwar schaffen es diese sonderbaren Menschentiere gelegentlich, sie zu verjagen, sofern sie nicht daran gehindert werden. Manche unter den Zweibeinern sind aber tatsächlich so egoistisch veranlagt, dass es sie nicht weiter kümmert, ob andere Tierarten unter den Angriffen der Wölfe leiden, solange ihr eigenes Leben nicht davon betroffen ist. Schafshirte lachen sie aus, weil sie es sich nicht leisten können, angemessene Schutzvorkehrungen zu treffen, damit die armen Schafe nicht gefressen werden können. Daher sinkt ihre Population alle paar Wochen mal um eine Handvoll. Unser Schwarzes Schaf wurde zwar nicht nur Mitternachts von Seinesgleichen übersehen und dennoch fühlt es sich dazu berufen, seine Artgenossen zu schützen, zu rächen. Ficken will er diese Viecher, weil sie ihn nie heranliessen, obwohl er ihnen erklärte, dass eine Durchmischung der Farben nur positive Effekte hat, doch sie wollten nicht hören. Vielleicht verstehen sie endlich, was ihnen entgangen ist, wenn es dies Rudel hier, dass seit einigen Tagen in seiner Gegend unterwegs ist, verjagt hat. Bis auf ihren Anführer können sie seinetwegen leben, da es ihm ohnehin zu anstrengend wäre, sie alle zu töten. Um den Respekt seiner Herde zu bekommen, genügt es, den Schädel des Anführers von all seinem Fleisch zu befreien und den anderen vorzuführen. Es weiss auch schon, wo es ihn am besten platziert. Direkt über der Stelle, wo sie alle zusammen ohne ihn nächtigen, erhebt sich ein Baumstumpf über ihre Köpfe, der sich perfekt als Halterung für den Schädel eignet. Und schon morgen früh werden die Weissen Schafe wissen, dass sie noch am selben Abend endlich wieder beruhigt einschlafen können. Angetrieben von dieser einmaligen Chance, sein Leben grundlegend zu ändern, umrundet es den Platz des Wolfrudels, das sich langsam warm macht, um wieder anzugreifen. Noch wissen sie nicht, dass sie diesmal die Opfer sind, die wehklagend den Verlusten nachtrauern werden, die doch so natürlich sind in ihrer beschissenen Wildnis, die sie alle gnadenlos abstumpfen liess. Man sieht es ihnen doch an. Nur die stetigen Sieger in den Kriegen des Überlebenskampfes können sich ein edles Haupt leisten, das all den widrigen Umständen zum Trotz nur so vor Schönheit strotzt. Schafe sind zwar süss, aber auch ein bisschen hässlich. Dies wird sich schon bald ändern. Der Osterhase hat es dem Schwarzen Schaf zugeflüstert, als sie sich bei der Beisetzung seiner Mutter begegneten. Ihre Knochen wurden von den Dienern auf zwei Beinen weggetragen und entsorgt. Der Osterhase bekam alles von Anfang an mit, wie die Wölfe in die Gegend kamen, diese auskundschafteten und schliesslich ihren Hunger stillten. Er traute sich nicht, mit ihnen zu reden aus Angst, er könnte als kleiner Appetizer verputzt werden, so versteckte er sich in seinem Loch und übernächtigte dort von schrecklichen Geräuschen geplant, die selbst das Scheusal unter ihm nicht imstande wäre, zu verursachen. Am Morgen wusste er, was zu tun ist. Er braucht die Kombination aus dem Leid der Schafe und der Mordlust der Wölfe. Es genügt, die Schafe dazu zu bringen, selbst dieser Mordlust zu verfallen, damit sie den Wölfen vergeben können. Diese Mordlust muss auf die Wölfe gelenkt werden, damit sie verstehen lernen, wie es sich anfühlt, zu den Verlierern des Ökosystems zu gehören. Damit sie sich nicht länger unnötigerweise gegenseitig fressen, während ihr Lebensraum stetig schrumpft, muss neue Nahrung her. Schon viel zu lange irren diese abartigen, der Sodomie verfallenen Zweibeiner durch ihre Wälder und verwüsten alles, woran sie auch nur eine Millisekunde vorbeikommen mit ihrem eigenartigen Pferdersatz. Dafür werden sich die Elefanten kümmern. Doch erst einmal folgt die erste Trainingseinheit unseres Schwarzen Schafs, das am liebsten jetzt schon loslegen möchte. Es muss sich allerdings noch zwei Stunden gedulden, wenn die Wölfe von ihrer Jagd zurückkehren. Frisch genährt sind sie bewegungsmüde, fast schon apathisch und möchten nur noch schlafen. Das Auftauchen eines kaum erkennbaren Schafes wird sie nicht weiter stören, so dass es genug Zeit hat, sich den Anführer zu schnappen und den anderen Wölfen am nächsten Morgen den Schock fürs Leben zu bescheren. Ein frühzeitiges Ostergeschenk: Ein kopfloser Anführer, der einst der Kopf der Bande war. 
 
- RvH - 26.03.2021 - 22:00 - 0315 -