Illusionen der Macht


Könnte es sein, dass der Bildschirm durch den Schaden gar nicht mehr funktioniert? Das würde bedeuten, dass alles, was ich hier am Tor zur Welt so treibe, nur Illusionen wären, die sich von meiner Fantasie auf das Schwarz vor mir projizieren. Hier sehe ich Filme & Serien, höre Musik & Podcasts und lese & schreibe Dinge, die vielleicht gar nicht existieren. Und wenn doch, dann wären sie dennoch nicht auf dem Bildschirm zu sehen, sondern in meinem Kopf, der dies alles schuf. Ein hochkomplex vernetztes Neuronenspiel - aber ohne Ventil - also verlieh mir die Freude Flügel, die mich in die höchsten Tiefen meines Bewusstseins tragen können - aber nicht mehr. Nicht einmal mehr die simpelste Datenübertragung gen Aussen gelingt mir noch, wenn nicht auch schon die bisherige scheiterte. Diese Weissen Ungetüme sind vermutlich lediglich symbolische Darstellungen für meine Pflegemenschen, die sich um mich kümmern und mir dabei allerlei erzählen, was ich immer und immer wieder repetiere, bis ich mir einbilde, diese Wortfetzen niedergeschrieben und veröffentlicht zu haben. Diese Texte auf all den Papierfetzen auf dem Boden sind Dankesbriefe an sie, Erinnerungen an sie, an das einzig reale in meinem Leben. Eine überlebensnotwendige Beschäftigungstherapie - so der übergeordnete Sinn all dieses Wahnsinns - erfreut das durchgebrannte Gehirn unseres Meisters mit allerlei Erhellungen seines dunklen Gemüts, das ihn erst hierhin führte. In diesem Kontext scheint mir mein zu klein geratenes Loch doch überdurchschnittlich gross und die Besuche meiner Wächter regelrecht kaum existent. Vielleicht hatte ich ja das grosse Glück, zufälligerweise in eine moderne Anstalt eingeliefert worden zu sein, in der auf allen Ebenen individuell entschieden wird, wie mit den Klienten umzugehen ist. Für diese These spräche, dass ich kurz nach meiner Einlieferung lauthals Abstand von allen bisherigen sozialen Kontakten einforderte und diesem Wunsch auch Stück für Stück nachgegeben wurde. Erst nach einer längeren Zeit wurde es ethisch notwendig, kurz vorbeizuschauen, ob alles in Ordnung ist, um dann festzustellen, dass ein nicht artgerecht entsorgter Joint zu einer spontanen Selbstentzündung führen könnte. Dies soll geschehen, noch bevor die dritte Wache beginnt, die schon in 4 Wochen vor der Tür steht. Derweil stapelt sich neben dieser Tür der unnötige Ballast von Mitpatienten mit schwerwiegenden Verhaltensstörungen, die damit die Meinigen negativ beeinflussen und es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Verrückten aufeinander losgehen. Dem könnte entgegengewirkt werden, wenn die Wächter auch dort mal nachschauen würden, weswegen sie keinen Platz für ihren Überfluss mehr haben. Die Diktion deutet dunkle Vorahnungen an, doch leugnet diese auch gerne mal. Denn wie hier in all den Notizen auf dem Boden meiner Seele nachgelesen werden kann, bereitet mir das Spiel der Beeinflussung immer mehr Freude und daher mache ich mir Sorgen über eine etwaige Eskalation in beide Löcher, in die wir eingesperrt wurden. Zwei gescheiterte Künstler und ein Menschenfischer besetzen ihre Zellen im Untergrund des Obergeschosses und schiessen hinunter, was sie in die Finger kriegen. Nur Müll. Danach wird wieder das komplette Gebäude gerockt mit dem riesengrossen Japanischem Schlagzeug bestehend aus Türen, Betten und Böden, um zwischendurch in das Mikrofon zu husten, um den anderen Geistesgestörten hinauszujagen, woraufhin auf der Treppe ein dilettantisch gespielter Doublebass die Klangwelt der dünnen Wände von oben immer tiefer penetriert, bis die Schläge kaum noch zu hören sind. Kurz darauf erklingt ein Geschrei, das weder für die Bühne noch für deren Vorbereitung gedacht ist und ein wirrer Gedankenstrudel setzt ein. Wenn ich mir das alles auf dem Bildschirm nur einbilde und wir wirklich als psychisch labil eingestuft wurden, würden Angriffe als gelegentliche Ausbrüche verstanden werden, die keine Verschlechterung meiner Lage bedeuten würden. Ich bliebe, wo ich bin und hielte ich es nicht länger aus, erhöhe ich einfach die Frequenz der Angriffe und komme dann bestimmt in ein schöneres und grösseres Loch nur für mich allein, wo mich niemand stören darf. Futter würde mir gereicht und alles besorgt, was ich verlange. So kann ich mich in die Illusion flüchten, ich wäre der König dieses Reiches und keine Erinnerung könnte mir überzeugend widersprechen, da sie keine Beweise zur Verfügung hätte, die ein Bild einer Psychiatrie um meine Gemächer zeichnen würden. Und deswegen bleibe ich der King.

- RvH - 06.07.2020 - 18:15 - 0196