200 Flüge des Grauens


Nach der Zombie-Pandemie kam die Apokalypse und hier steh ich nun vor dem hofeigenen Flughafen der Zürcher Unterlanden. Kein weiter Weg war es bis hierhin, nur wenige eingestürzte Dörfer musste ich hinter mich bringen, um dies einstige Tor zur Welt zu erreichen. Manch ein Gebäude hinter den Zäunen hat es zwar ebenfalls erwischt, doch die meiste Fläche besteht aus Landebahnen und Wiesen, sicher abgesperrt und begehbar. So klettere ich hinein in mein neues Heim, welches hoffentlich befreit ist von all dem Abschaum. Wenn dies der Fall ist, kann ich hier in aller Ruhe eine Festung erbauen und meine Machtergreifung planen. Dies Tor entwickelt sich weiter und wird ein Schloss, eine Burg, die Verlängerung meiner Minderwertigkeitskomplexe. Direkt vor meinen Augen erstreckt sich plötzlich die Spitze eines Flugzeugs in die Höh, so als wäre sie vorhin noch versteckt gewesen. Doch dies war es nicht, solch ein Flugobjekt lässt sich bekannterweise nicht so leicht komprimieren und in einen Umhang wickeln. Die erste Mutprobe steht vor der Tür und öffnet sie langsam in der Hoffnung, dahinter niemanden zu finden. Ich kann lebende Menschen riechen. Das muss nicht so bleiben. Jetzt muss es schnell gehen. Ich scanne das Innere nach allem ab, was mir als Waffe dienlich sein kann und ebenfalls nach dem Stück Abschaum, den ich gedenke, damit niederzuschlagen. Den Abschaum erkenne ich als erstes, wie er offenbar allein ein paar Meter entfernt erst langsam realisiert, was gerade geschieht, wie ich sein Sturmgewehr ergreife und losballere. Nun hat auch mich die Seuche der Egoshooter eingenommen und aus mir einen Mörder gemacht. Seit Tagen schon bereite ich mich mental auf diese Situation der Notschlachtung vor, was offensichtlich effektiv war, denn dies Stück Fleisch ist tot und ich bin kaum geschockt, höchstens leicht angeregt. Ich bin angekommen. Die Apokalypse ist mein neues Zuhause und ich weiss auch schon, was jetzt kommt: Das Looten. Wen haben wir denn da gerade durchlöchert wie in einem Actionfilm, wobei in der Realität die Szene viel schneller vorbeizugehen schien als gewohnt. Auch scheint sich das Blut vor allem bei der Leiche gesammelt zu haben und nicht im ganzen Raum dieses einen Flugzeugs, in dem ich das erste Mal kam. Es schoss und floss nur so aus mir heraus und bohrte zählige Löcher in dies Stück Scheisse, dessen Gesicht ich leider nicht traf. Es kommt mir bekannt vor. Es löst nur negative Gefühle in mir aus, doch genau diese spüren eine Genugtuung in sich aufkommen. Es muss jemand sein, der es verdient hat - nein - die es verdient hat. Woher kenne ich dieses abscheuliche Gesicht voller Wut & Hass & Frust? UMF! Es ist diese gescheiterte Existenz von einer Nachbarin, die mich in einem früheren Leben fast in den Wahnsinn getrieben hat. Die Genugtuung ist gerechtfertigt! Der leicht angeregten Stimmung kann nun eine Euphorie folgen, die ich seit Anbeginn dieser Tage nicht mehr gefühlt habe. Mein erster Mord hat jemanden getroffen, die es verdient hat. Ich kann mich also auf eine positive Prägung in diesen Belangen freuen, die mich solange überleben lässt, wie ich sie weiter pflege. Wo ist der Nächste? Ist vielleicht auch dieser Hurensohn aus demselben Loche in der Nähe? Den würde ich erst so richtig quälen wollen, bevor ich ihm sein mickriges Licht ausknipse. Was stelle ich mit diesem toten Stück an? Drinnen lassen oder rauswerfen? Rauswerfen würde mehr Spass machen. Doch ist es auch klüger? Dieser Hurensohn könnte es schon von weitem sehen und sich auf einen Kampf vorbereiten. Also bleibt das Stück erst einmal hier, abgedeckt mit all dem Überfluss, den sie sich auch jetzt noch gönnt, dieses zurückgebliebene UMF-Teil! Ruhig Blut. Einfach ein paar Mal dagegentreten und all den angestauten Frust an ihr rauslassen. Fester, härter, fick sie! Nein, Stopp! Davor hat mich Gonzo gewarnt. Keine Leichen ficken. Einfach zudecken und liegen lassen. Noch ein Mal treten und dann das Sturmgewehr nehmen und rausgehen. Durchatmen. Gut. Wie kann ich schauen, ob die Waffe noch geladen ist? Egal, vertrau der Schweizer Armee, dies Drecksland kennt sich mit der Produktion von Waffen aus und lässt die Soldaten doch nicht unnötig sterben, nur weil sie ständig nachladen müssen. Nein, ich kann diesen Kriegsbanausen nicht vertrauen, ich muss mich bilden in diesen Bereichen. Nicht weit entfernt von hier gibt es ein Militärgelände für Rekruten. Dort müsste ich hin dafür. Ist bestimmt schon besetzt. Jetzt muss ich aber erst mein Reich von all dem Abschaum befreien, der sich hier noch befinden könnte und gnadenlos abschlachten. Die Leichen sollen die ersten Wachen sein, die Eindringlinge sogleich wieder verjagen nur mit ihrem Geruch. So laufe ich gestärkt in den Sonnenuntergang hinein in die Ländereien meiner Festung und begebe mich auf die Jagd, um ein wenig zu trainieren und meine Schiesstechnik zu verfeinern. Es wird ein glorreicher Start sein, den ich unterwegs an allen übriggebliebenen Wänden von Gebäuden und Flugzeugen dokumentieren werde, um auch diejenigen zu verschrecken, denen der Geruch des Todes keine Angst mehr einjagen kann, aber dafür die Gedankengänge eines lyrisch hochbegabten Psychopathen. Für meinesgleichen muss ich mir aber noch was einfallen lassen. Und für die Schweine, die sich mir anschliessen wollen. Ich werde berichten. 

- RvH - 20.07.2020 - 19:13 - 0200 -