Let's get Behindert!


Geistig Behinderte sind wundervolle Wesen. Sie wurden geschaffen, um unsere Fähigkeit des rein rationalen Denkens zu verspotten, da sie ohne unsere komplexen Gedankengebäude eine Lockerheit an den Tag legen, wie wir es uns niemals trauen würden. Sie können diese abstrusen Gesellschaftsstrukturen nicht fassen und gehen daher komplett nach ihrem Bauchgefühl. Wenn jemand komisch auf sie reagiert, ist das nicht ihr Problem, sofern sie nicht von diesen Leuten abhängig sind. Wenn sie sich nicht wohl fühlen, dann schreien sie einfach herum. Das würde ich auch gerne machen, doch mich hielten alle für verrückt, was Konsequenzen haben könnte. Wenn sie ohne negativen Einfluss aufgewachsen sind, finde ich sie am lustigsten. Ich begegne manchmal einem, ich nenne ihn den Metalmongo, der wohl in die Fabelhafte Welt der Musik eingeführt wurde. Er hat oft Kopfhörer auf und singt aus voller Kehle mit und scheisst dabei auf eine korrekte Aussprache. Selten habe ich so etwas Schönes gehört. Seinem Gesang entnehme ich, dass es sich wohl um eine härtere Musikrichtung handeln muss, vermutlich eher Hardrock, doch Metalmongo klingt witziger. Es gibt jedoch Passagen, die eher an Metal erinnern, doch ich kann mich täuschen. Man hört ihn schon von weitem, und würde man sich in der Nähe von einer Psychiatrie aufhalten, wäre dieser Klang nichts Besonderes. Leute, die ihm noch nicht begegnet sind, reagieren eher ablehnend, bevor sie die Gesichtszüge erkennen, die seinen Zustand offenbaren. Doch auch dann sind manche noch genervt, da sie frustriert sind. Einst erlebte ich solch eine Situation, in der ein alter weisser Mann schon schockiert aufhorchte, als die sanfte Stimme des Metalmongos von weitem erklang. Ich selbst freute mich, ihn wieder einmal live erleben zu dürfen, das erst noch gratis, und beobachtete fasziniert die entstellten Gesichtszüge dieses Herren. Der Sänger, komplett in seiner Bühnenpersona, liess sich von den negativen Vibes nicht beirren und grüsste ihn beim Vorbeilaufen und sang dann fröhlich weiter. Der Mann blieb still. Er wusste, er hätte keine Chance gegen diesen offensichtlich wahnsinnigen Künstler. Als ich ihn das erste Mal live erlebte, war ich zwar erst auch etwas genervt aufgrund einer emotionalen Verstimmung, doch war dennoch begeistert von seiner Unverfrorenheit, die er zuvorderst im Bus an den Tag legte, höchstens einen halben Meter vom Fahrer entfernt, der beschallt wurde von einer menschlichen Box. Das Publikum lauschte still der Darbietung und schaute gar nicht erst auf die Bühne, da sie so ergriffen waren von diesen Klängen. Und mich hat er inspiriert. Wenn ich ein Idol habe, dann ihn, denn er ist der wahre Messias. In letzter Zeit begegne ich einem anderen musikbegeisterten Behinderten. Er ist auf einem Highspeed-Rollstuhl unterwegs, mit dem er durch die Gegend fährt und dabei sehr laut Hip-Hop hört, der sonst nur aus Poserautos erklingt. Doch seine Coolness können solche Leute niemals erreichen, denn wahrer Style ist ihnen fremd. Dieser Behinderte, über dessen Geisteszustand ich nichts weiss, entstand in seinen Grundzügen auch schon in meinem Kopf. Doch ich glaubte nicht daran, in meiner Lebzeit noch so einem Individuum zu begegnen, da er wie jemand aus einer besseren Zukunft klingt. Ich fände die Vorstellung etwas witziger, wenn er keine geistige Behinderung hätte, da er in diesem Fall die gesellschaftlichen Konventionen mit seinem Rollstuhl umfahren würde direkt in die Narrenfreiheit, um somit die körperlichen Einschränkungen auszugleichen. Nun gilt es für mich herauszufinden, wie ich diese Narrenfreiheit für mein Leben einfordern kann. Wäre ich ein allseits bekannter Künstler, hätte ich diesen Sonderstatus vermutlich schon. Doch meine kleine unscheinbare und nahezu haarlose Gestalt erschwert mir in Kombination mit meinem Penis ein Verhalten, das nicht nur dezent, sondern komplett gesellschaftsfremd in seiner wahrsten Form irgendwann zum Vorschein kommen sollte. Denn ich will nicht still bleiben. Und verstellen will ich mich sowieso nicht, da bliebe ich lieber ein Leben lang still. Aber diesen Kompromiss gehe ich nicht ein. Ich lasse mir mein Leben nicht vermiesen von frustrierten Menschen, die sich schon längst aufgegeben haben. Konfrontationen werden nicht ausbleiben, und sollen sie mich doch schlimmstenfalls für behindert halten. Das wurde ich sowieso schon mal, als ich betrunken harmlosen Blödsinn anstellte und das unter den spiessigsten und oberflächlichsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann, obwohl wir damals fast noch jugendlich waren. Doch die haben schon damals aufgegeben und sich radikal jeder möglichen schlechten Meinung über sie unterworfen. Feiglinge von früher. Behinderte sind für solche Leute die unvorstellbarste Lebensform, denn was sollen nur andere über sie denken und wie kommen die damit klar? Vollidioten. Ich war für sie schon ein Absurdum, doch ich war wenigstens zurückhaltend, auch wenn zu zurückhaltend, um beliebt zu sein. Sie hielten mich für dumm, doch hatte ich bereits einen höheren Bewusstseinszustand erreicht. Ich war damals schon behindert. Sie gaben mir stets den Rat, mich anzupassen und nun gebe ich euch meinen Rat mit auf den Weg: Werdet endlich behindert, ihr abartigen Wesen!

- RvH - 07.08.2019 - 00:16 - 0031 -