Apokalyptische Zeitgeschichte


Trübe Aussichten begleiten den Meister in die Apokalypse, denn er weiss nun, er ist nicht allein. Er sah sie von weitem, wie sie sich zusammenrotteten und bestimmt ihre künftige Herrschaft besprachen. Eine kleine Gruppe von Verschworenen aus seiner Vergangenheit wird ihn auch noch in Zukunft verfolgen. Sie haben überlebt. Wenn es Satan gibt, dann war das sein wahres Geschenk an ihn. Nichts kam so, wie es ihm Visionen vorlogen. Die endgültige Ernüchterung hat nun eingesetzt, denn auch seine Wohnung wurde von den Feuerkugeln getroffen. All sein Junkiematerial verbrannt in den Flammen und selbst die Supermärkte boten nur wenig Nahrung, die er hamstern konnte. Und hier auf den Trümmern stand er nun, hatte eine kleine Aussicht über die Hölle, in der er aufwuchs und von dort aus sah er sie, seine künftigen Widersacher. Sogleich kletterte er wieder hinunter, um unentdeckt zu bleiben und stahl sich hinter den Trümmern in die Landschaften zurück, die die umliegenden Dörfer verband. Viel zu flach ist es hier, zu wenig Bäume oder sonst irgendwas, wo er sich verstecken könnte. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als das nächste, hoffentlich gottverlassene Kaff anzusteuern, um auch hier die Überreste zu plündern. Dort könnte er sich auch mal nach einem Gefährt umschauen, das ihn sicher durch die Gegend kutschiert und auch etwas Wärme gibt. Der Sommer bricht zwar bald an, aber ein Obdach, das nicht abgebrannt ist, kann dennoch praktisch sein. Und wer weiss, wie lange diese Scheisse noch vonstattengeht. Vermutlich noch viel zu lange, gefühlte Ewigkeiten, bis ihn der Tod erlöst. Vielleicht wird er aber frühzeitig umgebracht, immer noch besser, als verhungern, und vielleicht von jemanden aus dieser Gruppe von angehenden Kannibalen, die er vorhin entdeckte. Trotz der Entfernung erkannte er die meisten unter ihnen. Alles Feiglinge von früher, abartiger Abschaum, dessen Auswüchse erst jetzt ihre volle Entfaltung erfahren werden. Nun sind sie die Stärksten, wie schon damals auf dem Schulhof, aber jetzt gibt es keine Erwachsenen mehr, die sie aufhalten könnten. Taten sie auch damals nur bedingt, weil der Apfel nicht weit vom Stamm fällt und auch diejenigen ausserhalb von deren missratenen Genpool waren überfordert, weil die Beweise fehlten. Und weil das Opfer und einziger glaubwürdige Zeuge wahnsinnig zu sein schien in all seiner berechtigten Wut. Längst vergangen, aber wenn sie ihn erwischen, wird es ihm diesmal nicht an Beweisen mangeln, dafür aber an einer unabhängigen Instanz, die darüber urteilt. Wer wird sich in der Gruppe durchsetzen, um die Führung anzutreten für den bevorstehenden Überlebenskrieg? Wird es der Möchtegernpate sein, der schon damals eine kleine Einheit aus Secondos der Mafia anführte, die ein bisschen Business machte? Sein zwar mangelndes, aber doch vorhandenes Wissen über die Strukturen der Unterwelt werden ihn bestimmt in gut geschützte Plantagen führen, die er verwalten könnte. Und so hätte er auch etwas unter seiner Kontrolle, von dem nahezu jeder der Überlebenden etwas abbekommen möchte und somit bereit wäre, sich unterzuordnen. Aber die ersten Machtverhältnisse dank Wissensvorsprung müssen nicht bleiben, jemand anderes, der die Gegenseite in die Wiege gelegt bekommen hat, könnte sich als Nachfolger anbieten. Dieser Polizistensohn hat schon früh begonnen, sich für die Unterwelt zu begeistern. Monoton vorgetragene, simpelste Gedichte, die mit stumpfsinniger Musik unterlegt wurden, führten ihn in die Gedankenwelt der Opfer seines Vaters ein. Sogenannte Gangsterrapper, die das Leben auf der Strasse glorifizierten, hatten bis jetzt einen nachhaltigen Einfluss auf diesen ehemaligen Banker, wie er auch genannt werden könnte. Und nun bietet sich die beste Möglichkeit, sich seinem Begehren hinzugeben und den ersten Feind auszuschalten. Getrieben von dem früh erlernten Rassismus wird er nicht akzeptieren können, dass ein Ausländer die apokalyptische Schweiz beherrscht und die anderen seiner reinrassigen Gefährten sind zu scheu oder dumm dafür. Ausser dieser Grosse, der Alkoholisierte Gewaltverbrecher, wie er es in seiner Jugend war, der könnte ihm zuvorkommen. Am besten wäre es wohl, wenn er sich mit ihm verbünden würde. Doch wie stellt er dies an? Auch der Meister fragt sich das, während er über die möglichen Konstellationen seiner Widersacher nachsinnt. Wie könnte er denn seinen eigenen überragenden Wissensvorsprung nutzen, um sich vor ihnen zu schützen, sie vielleicht sogar für sich zu nutzen. Würden sie ihm vertrauen, ihn als das harmlose, arme Lamm annehmen, als das sie ihn sehen oder aber gleich auffressen wie die Wilden, die sie sind? Besser hält er sich komplett raus aus diesen Machtspielchen, da auch er irgendwann gestürzt würde, wie es in jeder erdenklichen Konstellation früher oder später geschieht. Und wenn doch, dann muss sein Plan perfekt sein, jede Eventualität bedacht sein wie in einem Schachspiel. Und dieses lernte er nie richtig, weil ihn die Musse dazu fehlte. Die könnte aber schon bald einsetzen, weil die Umstände nun andere sind. Er kann sich nur noch auf sich selbst verlassen und ewig davonrennen vor allen möglichen Überlebenden, wird ihm auch in der Apokalypse irgendwann zu anstrengend. Also sollte er sich lieber auf die fokussieren, die er kennt, die er spielen kann wie ein Meister. Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende, sie geschieht gerade. Und wird baldmöglichst weiter dokumentiert. 

RvH, 31.03.2020, 19:16, 0161