Ach, du süsse Melancholie, lass mich
dich ehren, als wäre ich ein Kreativloser auf der Suche nach Ideen. Du
begleitest mich schon so lange und ich war dir stets verfallen. Du hast mir
ebenso viel gegeben wie genommen und doch führtest du mir ständig meine Unausgeglichenheit
vor. Nach jedem Wutausbruch bist du mir erschienen und liessest mich am Leben
zweifeln. Wie soll ich diesen kurzen Moment nur überstehen, wenn du mir wieder
und wieder die Realität vor Augen hältst? Jeden Morgen die gleichen
frustrierten Gesichter, die vom Alltag gezeichnet sind, jede verlorene Minute
eine weiter vertane Chance, wieder zu dir ins Bett zu kriechen, um Schlaf nachzuholen.
Jeden Abend wieder wach, und jede Minute ist eine weniger, um sich zu erholen.
Selbst in der Arbeitslosigkeit kommt man nie zur Ruhe, geplagt von
Zukunftsängsten und Geldmangel. Wenn dann noch ein ungerechtfertigtes
schlechtes Gewissen dazu kommt, bleibt kein Platz mehr, um dich weiter zu geniessen.
Und wenn du doch mal zu Besuch kommst, verrätst du einem, die freie Zeit sei
bald zu Ende. Dann ist der Alltag keine Erinnerung mehr. Er kommt immer wieder
zurück und zerstört die letzte Lebenslust, um sie bald nahezu täglich zu
imitieren. So viele Wege der Selbstzerstörung, doch wurden sie geschaffen, um
die wahre Zerstörung zu vergessen. Ich kann nicht mehr vergessen. Du hast mich
daran erinnert und wieder und wieder, nur weil du es bei mir kannst. Andere
haben dich schon vor langer Zeit verjagt. Denen muss ich wieder begegnen und
vielleicht werde ich nie von ihrem Alltag flüchten können. Sollen sie mich doch
ertränken lassen, dann wäre es wenigstens vorbei. Zumindest für mich. Deine
Realität frisst sie alle auf, all diese Menschenaffen, die einfach nur
überleben. Andere werden getötet. Oder verhungern, was auf dasselbe hinausläuft.
Und mir fällt nichts weiter dazu ein, als aus dieser Tragik eine billige Komödie
zu machen. Fröhliche Stimmen draussen widersprechen meiner Stimmungslage. Das macht
mich wütend. So fröhlich sind die eigentlich nicht, eher künstlich. Ich verstehe
sie nicht. Was haben die schon zu erzählen, um so lange ihre Stimme zu erheben?
Das stört den Meister bei seinem Versuch, sich selbst endgültig aufzusaugen.
Ich nenne mich selbst einen Meister. Hast du gehört, du lähmendes Gefühl, wie
deine globale Weltsicht mir im Wege herumsteht? Du willst dich selbst erhalten,
indem du die wachen Geister bewegungsunfähig machst mit deiner Perversion der
Depression. Ich will, dass es endet. Doch du hältst mir noch alle Finger deiner
Faust vor und zählst sie ganz langsam ab. Es ist ein unmögliches Unterfangen.
Wo bleibt die Manie? Wo steckst du, mein geiles Ding der Sinnestäuschungen?
Saug mir all meinen Lebenssaft aus und spucke es als Weisse Ungetüme in mein
Gesicht, so dass ich sie nur noch abschreiben muss. Es ist gerade leise
geworden, du kannst aus deinem Versteck herauskommen. Niemand wird dich bei
deiner Tätigkeit als Drogenersatz stören. Nur du und ich und zwischen uns die
Melancholie, die wir als unser Eigentum benutzen. Sinnvoll und mit dem nötigen
Respekt. Stopfen wir ihren Mund, der was davon erzählt, wie wir nur Abfall
produzieren und das meiste eigentlich gar nicht bräuchten. Sie würde uns von
dem nahenden Untergang der Menschheit erzählen, um mich wütend und traurig
zugleich zu machen, um dann doch wieder zu ihr zurückzukehren. Und hier bin ich
wieder. Ein Teufelskind mit einer latenten Behinderung, die sich jedes Mal
zeigt, wenn ich unter Menschen bin. Sie ziehen mich heraus aus der anonymen
Masse von Mitläufern, weil ich ein geeignetes Opfer bin. Sie halten mich für
dumm und nicht angemessen, mich mit der Würde eines Menschen zu behandeln. Wie
soll ich die nur wieder ertragen können, wo ich doch so lange weg war von ihnen?
Und was werden sie erst mit mir anstellen, sobald sie wissen, was ich so
treibe? Oder bleibe ich für sie diese farblose Figur, die sie in mir vermuten?
Wie viele Fragen kann ich mir noch stellen, bis es mich selbst langweilt? Keine
einzige mehr? Aber was soll ich denn noch schreiben, so gegen Ende dieses
ersten Fingers, den du mir in den Arsch geschoben hast? Soll ich mich etwa freuen,
dass ich gerade die erste Hälfte der 8 geschafft habe? Na gut...
RvH, 30.09.2019, 18:07, 0077