Krieg der Informatiker

 
Was ist schon eine Demonstration auf der Strasse gegen einen Algorithmus, der nur an die Oberfläche schwemmt, was seine Programmierung zulässt? Ob es nun leicht zu verdauende Clips von Tieren sind, um das Gemüt zu erhellen und nach diesem Gefühl süchtig zu machen oder plakative Hetzjagden, die die Vernichtung der Schuldigen allen Übels fordern, sie sind alles auserwählter Content, der die Masse zwischen Gutgläubigkeit und Furcht halten soll, damit sie nicht ausbrechen und sich dem nächsten Aufstand anschliessen. So bleiben nur wenige übrig, die auf beiden Seiten rausfallen und sich gegenseitig angreifen, damit die schwerer zu kontrollierenden Subjekte dennoch in Schach gehalten werden können. Von aussen betrachtet, finden sich kaum nachvollziehbare Beweggründe für ihr auffälliges Verhalten, weswegen sie üblicherweise als gefährliche Zeitgenossen abgetan werden, die ausgeschlossen gehören. Dass bei den meisten von ihnen - gar beim stumpfsinnigsten Nazi - ein langer Prozess zu diesem hohen Frustlevel geführt hat, bei dem sie an eine Ungerechtigkeit nach der anderen gestossen sind, die sie erst so gewaltbereit geprägt haben, wird kaum irgendwo erwähnt. Und wenn doch, dann meist in ihren eigenen Filterblasen, die nie ausserhalb von ihrer Reichweite gelangen und so höchstens ein oberflächlicher Blick von aussen möglich ist, der im Grunde nur die Rechtfertigung dieser Taten wahrnimmt. Oft findet sich darin auch nicht mehr und wenn doch, dann meist so durchtränkt von szeneüblichen Codes, die eine intensive Auseinandersetzung voraussetzt, um den dahinterliegenden Inhalt überhaupt wahrzunehmen. Dieser Krieg der Informationen, der hier nur leicht angerissen wurde, findet hauptsächlich im Internet statt, das in erster Linie auf Kommerzialisierung seiner Inhalte aus ist, da die wesentlichen Plattformen irgendwelche Grossunternehmen sind, die stetig Einnahmen generieren müssen und so sich nur auf die Qualitätsmassstäbe konzentrieren, die ein möglichst langes Verweilen herbeiführen. Ob die gezeigten Inhalte journalistischen Ansprüchen gerecht werden oder auch nur künstlerischen, ist rein zufällig und hängt von der Massentauglichkeit ab, sofern sie nicht zu sehr aus dem Raster des Gewollten fallen. Dies wäre aber allzu leicht zu durchbrechen, wenn da nicht auch noch die steigende Individualisierung aufgrund der gesammelten Daten eines jeden Nutzers hinzukäme. So werden auch einige abgefangen, die sich über diese Dynamiken zumindest bewusst sind, aber auf die praktischen Vorteile ohne langes, lästiges Suchen nicht verzichten wollen. So bleiben sie am glauben kleben, sie hätten eine kritische Distanz zu den auf sie abgestimmten Algorithmen und drehen sich dennoch im Kreis ihrer bereits gesetzten Grenzen und sehen kaum noch, was sich ausserhalb ihrer Realität abspielt. Selbst ganze Zeitungen, die einst nach eigenem Wissen & Gewissen Themen und die Ansätze daran ausgewählt haben und in ihrer Vielfalt der politischen Ausrichtungen ein relativ umfassendes Bild des Weltgeschehens ablichten konnten, müssen sich, um zu überleben, immer mehr den Logiken des Netzes unterwerfen. So kommt es vermehrt zu Clickbaiting, während von diesem Prinzip ausgeschlossene Artikel deutlich schlechter performen, was immer mehr als Gegenargument verwendet wird, so dass tiefgreifende Analysen immer schwieriger sind, in den Redaktionen durchzukämpfen. Wenn keine umstrittene These in den Titel gepackt werden kann, ist der Artikel nichts wert. Mittlerweile wird auch darauf verzichtet, dass diese These überhaupt vertreten wird, um sich je nach Sprengkraft der Polarisierung auch gleich wieder davon distanzieren zu können, aber die Aufmerksamkeit hat man trotzdem mitgenommen. Gleichzeitig dazu sinkt die Konzentrationsfähigkeit der Nutzer, weil sie über Jahre hinweg dazu konditioniert wurden, möglichst effizient durch die Weiten des Internets zu surfen, so dass ohnehin kaum ein ganzer Text gelesen wird, bei denen bei der Hälfte die Gefahr besteht, dass er hinter einer Paywall steckt, weswegen die Weitergabe von Information sich auf einzelne Sätze beschränkt. So wird eine immer simplere Erzählung der Welt normal, die die durch alle Zeiten hindurch geschaffene Dummheit weiter hinunterzieht, wo dann aufgrund dieser Tatsache häufiger auf betreutes Surfen zurückgegriffen wird und vermeintlich problematische Inhalte verbannt werden. Letztendlich ist es eine Art Krieg der Informatiker, die selbst auch nur Angestellte von Grossunternehmen sind, nach deren Regeln sie arbeiten, gegen die restliche Bevölkerung, wobei diese so wehrlos sind wie andere zivile Opfern in realen Kriegen. Doch wer in der anonymen Masse hat die Skills, sich diesen Bedingungen des Systems zu widersetzen und ein neues Modell der Informationsübertragung zu schaffen, um dieser Abwärtsspirale etwas entgegenzusetzen? Müssen wir doch wieder zurück auf die Strasse? Aber wer wird angemessen darüber berichten können? Teufelskreis um Teufelskreis, die sie alle die Revolution einfordern. Aber für was? 
 
- RvH - 30.05.2021 - 21:32 - 0370 -