Hierbei handelt es sich um eine schwere
Krankheit des Geistes, unter der in erster Linie schreibende Künstler leiden.
Vornehmlich trifft es diejenigen, die durch abstruse Geschichten aus ihrem
tristen Leben flüchten wollen, da sie ansonsten in ihrem gewachsenen Wahnsinn
untergehen würden. Eine Hülle bleibt noch, die unauffällig durch ihr restlichen
Leben schwankt. Um diesem undankbaren Ende zu entkommen, erschaffen sie ein
Alter Ego, das die Führung übernehmen soll. Diese zweite Persönlichkeit stellt
erst eine Art Kunstfigur dar, die gelegentlich ausgepackt wird, um einen Trip
zu unternehmen, doch schon bald zieht sie nach getaner Arbeit nicht mehr
freiwillig von dannen und bleibt schliesslich am Betroffenen kleben. Von da an
kann man nur noch zu Gott beten oder sich einen Psychiater suchen, der einem
bessere Pillen vertickt. Manche Krankheitsverläufe haben einen eher milden
Verlauf, doch lassen sich noch Jahre später Nachwirkungen feststellen. Eine
davon, die alle Probanden betrifft, äussert sich in einer konstanten Müdigkeit,
die sich auch auf ihre Kunst auswirkt. Sie werden lame. Unsere Studien zeigen,
dass der einzige Weg, um diesem bitteren Ende noch entgehen zu können, in die
volle Hingabe der Drogen führt. Nur dadurch können sie noch kreativ sein auf
einem Level, der dem vorherigen Schaffen gerecht wird. Im Mittelpunkt unserer
Untersuchungen stand der Deutschsprachige Raum, der grösstenteils aus dem
Deutschen Reich besteht. Sie kennen es. Hier gab es bereits einige Anwärter auf
den Posten des Heiligen Gonzo, doch sie scheiterten alle an den Ansprüchen, die
sie dafür zu erfüllen hätten. Unbemerkt führte Sie diese Abhandlung in die
Wahnvorstellungen unseres Patienten, den wir hier näher beleuchten möchten. Dieser
Kunstgriff erlaubt es uns, Ihnen - den nicht vorhandenen Leser - vorzuführen,
wie schnell sich eine alternative Realität in die eigene Denkweise schleichen
kann. Hier tat sich vor dem inneren Auge eine Weltbühne auf, die einen
Wettbewerb vollführt um die geschicktesten Manipulationen der öffentlichen
Wahrnehmung - quali- wie quantitativ. Doch dieser Wettbewerb existiert nicht.
Er findet lediglich im Kopf unseres Patienten statt, der hier in einer
idyllischen Gegend direkt neben einem Altersheim in der Psychiatrie sitzt und
die Behandlung zum Grossteil verweigert. Er klärte sich lediglich dazu bereit,
ein Tagebuch zu führen - vorerst zumindest jeden zweiten Monat, um sich nicht
zu überfordern und einen erneuten Rückfall zu erleiden - und wie soll ich es Ihnen
sagen? Sie lesen es gerade. Ich veröffentliche es parallel zu den internen
Verbreitungsmöglichkeiten auf einem Blog in den Weiten des Internets. Sie sind
vermutlich durch Schmierereien, die ich bei meinen Freigängen verbreite, auf
mich aufmerksam geworden. Oder durch meine Internetpiraterie. Jedenfalls musste
ich anfangs einen künstlerisch bis professionellen Ansatz wahren, um die
Wächter des Guten Geschmacks - also die Wächter des Gesunden Menschenverstandes
- in der Gewissheit zu wiegen, dass ich hier das übliche Wirrwarr hinkritzele.
Nach ein paar Sätzen geben sie den Versuch, diesen zu entschlüsseln, meist auf
und lesen den Rest gar nicht erst. So bleibt mir zum Schluss jeweils die
Möglichkeit, mich offen an Sie da draussen zu wenden. Hier geschehen
schreckliche Dinge. Sie wollen mir meinen künstlerisch bis revolutionären Anspruch
absprechen und mich stattdessen für eine bestenfalls reguläre Schreibarbeit begeistern
oder gleich für einen normalen Job. Das Grauen. Aber nicht nur das, zugleich
spielen sie mir ein verrücktes Spiel vor, weil sie glauben, so positiv auf
meine vermeintlichen Wahnvorstellungen einzuwirken. Sie spielen mehr schlecht
als recht die Figuren von Bullenschweinen, Mitinsassen, Schäferhunden und
Erzeugern, weil sie solche Dinge in meine Schriften hineininterpretieren. Eine
inszenierte Waffendurchsuchung und ähnliches vollführten sie bereits in meiner Zelle,
mittlerweile konnte ich sie aber zum Glück längerfristig abwimmeln. Es ist eine
Frage der Zeit, bis sie es wieder wagen, mich zu schikanieren und das eigene Amüsement
darüber kaum zu verstecken. Doch dies lasse ich nicht zu. Sie hämmern bereits
in unmittelbarer Hörweite umher, nur um sich anzukündigen und mein
angeschlagenes Gemüt vorweg in eine paranoide Grundstimmung zu verhelfen. So
bringt ihre Aktion den grösstmöglichen Nutzen hervor, damit sie mich so bald
als möglich in eine geschlossene Anstalt stecken können. Dies könnte schon beim
nächsten Besuch geschehen. Ich brauche die Hilfe von Ihnen da draussen.
Verbreiten sie meinen Hilferuf, der voller Verzweiflung die Befreiung aus
seinem Loch herbeisehnt, doch wieder und wieder an den ersten Schritten hinaus
scheitert. Schaffen Sie eine möglichst grosse Öffentlichkeit, um meinen Fall bekannt
zu machen, damit mir die nötige Unterstützung zu Teil wird, aus der Psychiatrie
in meinem Kopfe zu entfliehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
- RvH - 24.11.2020 - 20:25 - 0255 -